De-Kommodifizierung von Wohnraum als Speerspitze gegen Zweckentfremdung des Wohnens
Rezension: In Defense of Housing von Peter Marcuse und David Madden
verfasst im Auftrag der BAWO – Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe Österreich
Neben dem Problemfeld Wohnungslosigkeit wird vor allem Wohnen an sich zum Subjekt kontroverser Ideologien. „Fight! Fight! Fight! Housing is a Right! Not a privilege!“[1] schallt es aus den Megaphonen sozialer Bewegungen. Ein Engpass an Wohnraum führt zu neuen Spannungsfeldern, welche die Verdrängung des Wohnens als Grundbedürfnis zugunsten investitionsorientierter Vermögensgrundlage zur Bereicherung der wenigen Eigentümer-Individuen zur Ursache hat. Obdachlosigkeit in Städten ist dabei längst keine Begleiterscheinung und gilt als schlimmste Form der Zweckentfremdung von Wohnen an sich.
Aus diesem Grund starten Peter Marcuse und David Madden den Verteidigungskampf „in defense of housing“ zugunsten des Wohnens in dessen sozialer Funktion. Was es dabei zu verteidigen gilt ist Wohnen im Sinne eines internationalen Menschenrechts und Form des Geschütztseins, was vom gewinnorientierten Investmentgedanken zumeist überschattet wird. Spekulation eben. Gier. Profit und Wachstum. Und vor allem der Glaube an den freien Markt.
Es ist ein Plädoyer gegen globalisierte und deregulierte Märkte, die instabile Preisschwankungen, Immobilienblasen und letztlich den gänzlichen Zusammenbruch zur Folge haben. Ein Versuch die Marktlogik über Bord zu werfen.
Ganz nach dem Motto „one person´s crisis is another´s business opportunity“ [2]. Ständig sei man den willkürlichen Launen von Hausbesitzern, Banken und Investoren ausgesetzt, die über enormen Handlungsspielraum verfügen und rein zu Zwecken wirtschaftlicher Akkumulation danach trachten andere Menschen auszubeuten. Hierbei übersehen die Autoren jedoch, dass dies keineswegs die einzige Möglichkeit ist menschliches Verhalten zu modellieren, sondern sich auf eine Reihe von Situationen beschränkt. Eigennutzen wird mit Egoismus gleichgesetzt und jegliche an eigenem Gewinn orientierte Handlung im Wohnungsgeschäft verteufelt. Dadurch erweckt es den Eindruck des Gutmenschentums und den Drang nach Umerziehung des Lesers. Obgleich es dahingestellt bleiben mag, dass das Streben nach Gemeinwohl und einem universellen Recht auf angemessene Wohnverhältnisse leider kein Allheilmittel der Wohnungskrise ist.
Das Buch nimmt den Leser mit auf eine Reise humanistischen Ursprungs, zurück an den Start zu den Kernproblemen des Wohnens an sich. Stück für Stück werden ungerechte Wohnverhältnisse aufgebrochen, um so zu demonstrieren weshalb es einen radikalen Systemwechsel braucht. Durch sachliche Argumentation wird der freie Markt beispielhaft hinterfragt und wirtschaftspolitische Alternativen aufgezeigt.
Die Fesseln des ungerechten Systems abzuschütteln sei hierbei die einzige Chance den neoliberalen Angriff auf Wohnen in dessen sozialer Aufgabe abzuwehren. Die De-Kommodifizierung von Wohnraum dient dabei als Speerspitze im Gemetzel gegen die Zweckentfremdung von Wohnenraum. Kein gutes Wort fällt dabei über die ökonomische Elite, die überwiegend von der Hyper-Kommodifizierung und Finanzialisierung von Wohnraum in der globalen Wirtschaft profitiert und damit Ungleichheiten vehement verstärkt. Dies beschreiben die Autoren als Keimzelle der aktuellen Krise am Wohnungsmarkt, welche zunehmende Instabilität und unerschwingliche Preisanstiege zur Folge hat.
Schuld am Wohnungsschlamassel sei die grundsätzlich fälschliche Idee des freien Marktes als Allokationsmechanismus, das soziale Diskrepanzen der Wohnraumversorgung schafft. Wohnungen werden dabei ausschließlich unter der ungleichen Voraussetzung der Zahlungsfähigkeit verteilt, um in weiterer Folge ökonomische Profite zu erzielen. „A truely humane housing system would measure its success or failure not in home prices or the number of mega-mansions but in the extent to which the residential good life is actually provided for everyone“[3]. Um das Wohnungswesen zu verstehen bedarf es aus Sicht der Autoren daher einer breiteren Perspektive, die wirtschaftspolitische Verhältnisse miteinbezieht und den Staat als umverteilendes Mittel für alternative marktferne Wohnformen sieht. Dabei folgt eine Abrechnung mit der gegenwärtigen Forderung nach mehr Wohnungseigentum, welche in einer sozialorientierten Stadtpolitik als völlig fehl am Platz dargestellt wird und sozial-räumlicher Spaltung und reiner Systemerhaltung diene.
Die Befreiung von den Zwängen des Marktes erfordert somit einen radikalen Umbruch, wobei Red Vienna und Wiens sozialer Wohnbau als positives Beispiel für ein emanzipatives Wohnumfeld genannt werden. Gerade an diesem Beispiel wird die Bedeutung der De-Kommodifizierung des Wohnbestandes klar ersichtlich. Hoher finanzieller Aufwand und mangelnde Treffsicherheit der Förderungen werden dabei allerdings von den Autoren vergessen. Dabei sind es oft Regulierungen für den privaten Markt, die Baumaßnahmen neuer Wohnungen ins Stocken bringen und das System ad absurdum führen.
Zugegeben, in der Einfachheit des Autorenstils klingt es zuerst logisch: Die De-Kommodifizierung von Wohnraum zur Bändigung des unmenschlichen Kapitalismus ist die Lösung all unserer Probleme. Es ist eine Auflistung revolutionärer Gedanken, die keineswegs neu sind. Unter dem Deckmantel der Globalisierungskritik fordern die Autoren das Ende dieser strukturellen Verfestigung in unserer neoliberalen Gesellschaft. So wird die mögliche Praxis einer gerechteren Immobilienbranche und dessen Überwindung der herrschenden Doktrin recht simpel dargelegt; dennoch fehlt es an einem theoretischen Unterbau für diese neue Form eines globalen wirtschaftspolitischen Systems, das es so (noch) nicht gibt.
Gerade in öffentlichen Debatten über leistbares Wohnen rückt der soziale Aspekt wieder vermehrt in den Fokus. Aus diesem Grund gewinnt das Buch besondere Aktualität und Brisanz. Dennoch ist es im Grunde reine ideologische Tirade, welche sich auf einem schmalen Breitengrad verschiedener Visionen einer gerechteren Immo-Welt hin und her bewegt. Es ist eine heftige Kritik an den verfestigten Strukturen im Wohnungswesen und dem selbst geschaffenen störungsanfälligen Wirtschaftssystem an sich, das dabei vorhandene Wirklichkeit übersieht und in der Praxis als schwer umsetzbar gilt.
Dabei leitet das Buch vor allem eine Frage: Ist Wohnen für alle ein utopisches Ziel? Nein. Aus Sicht der Autoren ist es grundsätzlich möglich, man müsse lediglich systemische Ursachen in radikaler Weise verändern und neben ausgeprägten sozialen Wohnbau auch eine Vielzahl an alternativen partizipativen Wohnformen zulassen. Das Buch gibt Denkanstöße und präsentiert somit eine Richtungsanweisung, aber keine Lösungen. Gegen die Interessen des Großkapitals erscheint es den Autoren darin unkomplizierter das gesamte System über den Haufen zu werfen als Strukturen anzupassen. Dafür braucht es eine Art Revolution, um ihrer selbst willen. Einen Richtungswechsel im Wohnungswesen, welchen Peter Marcuse und David Madden zu haben versprechen. Was beim Zuschlagen des Buches zurückbleibt ist ein Gesellschaftsexperiment, worin das innige Streben nach Veränderung, der Überwindung des status quo hin zum Wohnrecht für alle dominiert und dennoch sträuben sich Entscheidungsträger zutiefst davor.
Verfasst von: Anja-Therese Salomon, MSc (WU)
Literatur:
Marcuse, Peter/Madden, David (2016): In Defense of Housing. The Politics of Crisis, Verso, London.
[1] Marcuse, Peter/Madden, David (2016): In defense of housing. The politics of crisis, Verso, London, S. 196.
[2] Ebd., S.82.
[3] Marcuse, Peter/Madden, David (2016): In defense of housing. The politics of crisis, Verso, London, S.82.
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